Beratungspflichten im Reisevertrieb

Beratungspflichten im Reisevertrieb

10.11.2025
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Die Diskussion um die rechtlichen Pflichten des Reisevertriebs nimmt Fahrt auf: Auf der Jahrestagung des Verbands unabhängiger selbstständiger Reisebüros (VUSR) in Düsseldorf stand am Wochenende die Frage im Mittelpunkt, wie weit Beratung und Information durch Reisebüros reichen müssen – insbesondere vor dem Hintergrund der FTI-Insolvenz. Die Fachzeitung touristik aktuell berichtet von einer kontroversen Debatte, in der neben dem Deutschen Reiseverband (DRV) vor allem der Deutsche Reisesicherungsfonds (DRSF) und mögliche Interessenkonflikte thematisiert wurden. Rechtsanwalt Roosbeh Karimi setzte dabei wichtige rechtliche Akzente. Touristik Aktuell

DRSF, DRV und mögliche Interessenkonflikte: Was die Branche diskutiert

Laut touristik aktuell kritisierte VUSR-Chefin Marija Linnhoff den DRV als Hauptgesellschafter des DRSF, weil aus ihrer Sicht Warnhinweise zur Schieflage von FTI nicht ausreichend geprüft worden seien. Dem widersprach der frühere DRV-Präsident Klaus Laepple mit dem Argument, der DRSF sei nicht verpflichtet, Gesellschafter über Unternehmensschwierigkeiten zu unterrichten. Die Positionen prallten sichtbar aufeinander.

Roosbeh Karimi lenkte die Debatte auf die rechtsdogmatischen Grundlagen: In der Konstruktion des DRSF sieht er einen „Systemfehler“, weil die Aufsichtsfunktion mit Interessen der Reiseveranstalter kollidieren könne. Ein neutraler Fonds hätte – so seine zugespitzte These – im Fall FTI „wesentlich früher den Stecker ziehen müssen“. Diese Aussage zielt auf Governance-Fragen, die über den Einzelfall hinausreichen: Wenn Aufsicht, Finanzierung und Verbandsinteressen zusammenfallen, sind klare Regeln der Trennung, Transparenz und Verantwortlichkeit essenziell.

Beratung, Information, Schutz- und Sorgfaltspflichten

Karimi betonte zugleich die Lage der Reisebüros: Neben gesetzlichen Informationspflichten bestehen vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten, die sich aus dem individuellen Beratungsverhältnis ergeben (Stichworte: Aufklärungs-, Hinweis- und Treuepflichten nach § 241 Abs. 2 BGB in Verbindung mit der konkreten Vermittlerrolle). Seine Leitlinien für die Praxis: „erkennbare Risiken“ müssen aufgezeigt werden und „man darf definitiv nicht lügen“; je größer das Wissen, desto umfangreicher die Hinweispflichten. Damit knüpft er an die bekannte Risikostaffel an: Wissen, Erkennenmüssen und Zurechnung.

Ob konkrete Warnpflichten vor einer Insolvenz bestanden, sei eine Frage des Einzelfalls – und der kommenden Rechtsprechung. Solange keine obergerichtliche Entscheidung vorliegt, bleibt die Rechtslage offen. Derzeit wird am Amtsgericht Nordhorn darüber gestritten, ob ein Reisebüro im März 2024 vor Buchung auf finanzielle Risiken bei FTI hätte hinweisen müssen. Ein Urteil war ursprünglich für den 13. November 2025 avisiert. Parallel beginnt am 4. Dezember 2025 ein weiteres Verfahren vor dem Amtsgericht Bad Homburg; dort geht es u. a. um die Beratung bei Einzelleistungen und den Hinweis auf fehlende Absicherung im Insolvenzfall. Beide Verfahren können Signalwirkung für den Vertrieb entfalten – unabhängig davon, dass Amtsgerichtsurteile keine Präzedenzwirkung wie obergerichtliche Entscheidungen haben.

Die Berichterstattung schildert, dass ein von den Parteien in Nordhorn abgelehnter Vergleich den Weg für eine möglicherweise längere Instanzkette bahnt. Für die Branche heißt das: Rechtsklarheit wird voraussichtlich erst mit land- oder oberlandesgerichtlichen Entscheidungen entstehen. Bis dahin empfiehlt sich ein konservativer Beratungsstandard.

Was Unternehmen jetzt tun sollten: Handlungsempfehlungen aus Kanzleisicht

Für Reisevertriebe, Franchise-Systeme und Veranstalter ergeben sich aus den Debatten drei unmittelbare Handlungsfelder:

  1. Beratungsprozesse dokumentieren: Gesprächsleitfäden, Abfrage-Checklisten (u. a. Einzelleistung vs. Pauschalreise, Absicherungstatbestände, Alternativangebote) sowie schriftliche oder digitale Beratungsvermerke sind zu standardisieren. Wer dokumentiert, kann später differenziert darlegen, was er wusste, was er erkennen musste und was er gesagt hat.
  2. Risikohinweise operationalisieren: Bei „erkennbaren Risiken“ (z. B. öffentlich berichtete Schieflagen, Stornowellen, Fondsmaßnahmen) sind klare, sachliche Hinweise zu erteilen und – wichtig – vom Kunden zur Kenntnis bestätigen zu lassen. Das schließt die Empfehlung alternativer, abgesicherter Produkte mit ein, wenn sich andernfalls außergewöhnliche Risiken ergeben könnten.
  3. Schulung & Update-Routinen: Teams im Verkauf benötigen fortlaufende Updates zu Rechtsprechung und Fonds-/Verbandskommunikation. Ein fester Turnus unterstützt ein einheitliches Beratungsniveau.

Diese Punkte entsprechen dem von Roosbeh Karimi skizzierten Ansatz: Pflichtenumfang richtet sich nach Wissen und Erkennbarkeit – also muss das Wissensmanagement im Unternehmen professionell organisiert sein.

Fazit

Die VUSR-Tagung zeigt, wie stark die FTI-Insolvenz rechtliche und organisatorische Fragen im Reisevertrieb zuspitzt. Während Verbände über Zuständigkeiten von DRSF und DRV streiten, rückt für Reisebüros die tägliche Beratungspraxis in den Fokus. Unsere Kanzlei begleitet Unternehmen genau an dieser Schnittstelle: Wir übersetzen unklare Rechtslagen in belastbare Prozesse – von der Compliance-Governance bis zum Beratungsleitfaden. Bis zu einer klärenden obergerichtlichen Linie gilt: Besser dokumentieren, klarer hinweisen, Risiken transparent machen.

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